Die deutschen und ihr märchendichter Andersen

Bemerkungen zur übersetzungsproblematik an hand der Prinzessin auf der Erbse

Leif Ludwig Albertsen

Als der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow seinerzeit Dänemark besuchte, pilgerte er, begleitet vom damaligen dänischen Ministerpräsidenten Krag, zum Geburtshaus des Märchendichters Andersen in Odense. So wie es der Rundfunk übertrug, hob Chruschtschow aus diesem Anlaß hervor, daß Andersen Weltliteratur sei, daß seine Märchen der ganzen Welt gehörten. Hierauf erwiderte Krag, Andersen gehöre nach Ansicht der Dänen nicht der Welt, sondern sei ein primär dänischer Dichter. Jedenfalls von dem offenen Mikrofon wurde dieser tiefsinnige Wortwechsel nicht weitergeführt, und das hätte auch kaum einen Zweck gehabt. Die seltsame Mode des 19. Jahrhunderts, nach der jede Kunst, nicht nur die literarische, sondern auch die bildende und die Musik, als besonderer nationaler Besitz empfunden wurde, darf wohl heute für endgültig überwunden gehalten werden. Auch ein Nicht-Brite darf „seinen“ Shakespeare lieben, auch ein Nordeuropäer von sich behaupten, die alten Römer vielleicht besser zu verstehen als der heutige Italiener. Auch Andersen wurde in Übersetzungen über die ganze Welt verbreitet.

Dabei entsteht freilich ein Problem, das bei Namen wie Vergil und Shakespeare weniger wesentlich ist und auch die deutschen Dichter, die zur Weltliteratur gehören, nicht so sehr in ihrer Wirkung beeinträchtigt hat: Ein dänischer Dichter schreibt in einer Sprache, die jenseits der Landesgrenze kaum verstanden wird, und kann somit seinen Weltruhm nur in Übersetzungen erlangen. Übersetzungen aber sind immer unvollständig. Von den primitivsten Versuchen, in einer Mischung von Paraphrase und Interlinearversion den reinen Stoff zu vermitteln, bis hin zu jenen wenigen Fällen, in denen ein kongenialer Künstler über Jahre hin seine eigene Existenz gleichsam aufgibt, um sprachschöpferisch die eigene Literatur um das fremde Werk zu bereichern, bleibt immer ein Teil des Originals unausgesprochen, sei es auch nur in der Form, daß das Original zeitlos erhaben dastehen bleibt, während jede neue Epoche auch eine neue, vielleicht von ihrer Entstehungszeit mit gefärbte Übersetzung hervorbringen kann.

Das in dieser Hinsicht problematische Wagnis der Übersetzung hat seine grundlegende ästhetisch-kritische Analyse erfahren in der 1969 erschienenen Habilitationsschrift von Ralph-Rainer Wuthenow, Das fremde Kunstwerk, Aspekte der literarischen Übersetzung (Vandenhoeck & Ruprecht). An Hand einiger Beispiele für Übersetzungen aus der Weltliteratur unterscheidet Wuthenow nicht nur zwischen der Rettung der bloßen Form, der leeren Hülle, und der des Inhalts unter Preisgabe des Kunstcharakters, sondern hält der flachen, dem Schein nach vollkommenen Übersetzung diejenige entgegen, in der die Festigkeit des Originals organisch wiederentsteht. Die Übersetzung spiegele auf grausame Weise das geistige Niveau des Übersetzers wieder; denn Übersetzung sei nur verantwortlich auf der Basis einer nicht nur philologischen, sondern zugleich auch kritisch einfühlenden Interpretation. Wir wollen diese Gedanken Wuthenows, die nicht nur der Literaturwissenschaft dienen, sondern von jedem zu Herzen genommen werden sollten, der es wagt zu übersetzen, auch unseren folgenden Betrachtungen zugrund legen, indem wir ein Andersen-Märchen interpretieren und im Anschluß hieran einige der Übersetzungen ins Deutsche kritisch betrachten. Zunächst gestatten Sie mir aber einige Bemerkungen über die besonderen Bedingungen für die Übersetzung eines dänischen Textes ins Deutsche, für Übersetzungstätigkeit im 19. Jahrhundert sowie für das Auftreten einer qualifizierten Übersetzerelite.

Kaum eine andere Sprache außer den skandinavischen ähnelt der dänischen so sehr wie die deutsche. Die Ähnlichkeiten reichen vom Phonetischen bis ins Weltanschauliche und sollten die Bedingungen für eine Übersetzung als besonders vorteilhaft erscheinen lassen. Deutsch und Dänisch vereint im Gegensatz zu den umgebenden germanischen Sprachen ein besonders kräftiger Unterschied zwischen druckstarken und druckschwachen Silben; die statistische Verteilung zwischen diesen beiden Silbenkategorien sowie zwischen einerseits dem Murmelvokal, anderseits den übrigen Vokalen, ist fast identisch. Große Ähnlichkeiten bestehen in der Satzintonation und der Syntax; das dänische Vokabular endlich entspricht auf vielen Gebieten dem deutschen, dies eine Folge davon, daß die kulturelle Entwicklung Dänemarks viele Jahrhunderte hindurch von Deutschland vermittelt wurde. Wollen wir die sprachlichen Unterschiede auf einen Nenner bringen, der zugleich erkennbar werden läßt, weshalb trotz aller Ähnlichkeit der beiden Sprachen eine Übersetzung eben Andersens ins Deutsche in mancher Hinsicht scheitern mußte, wäre die größere Tendenz der dänischen Sprache zum indikativischen Hauptsatz hin hervorzuheben, bedingt einerseits durch die Wortstellung, die den dänischen Nebensatz weniger kräftig vom Hauptsatz unterscheidet, als das auf deutsch der Fall ist, anderseits durch den fehlenden Konjunktiv, der es weniger unterscheidbar bleiben läßt, wann eine indirekte Rede und wann vielmehr eine Aussage des Autors selber vorliegt. Beides führt zu einem Schillern in bezug darauf, wann ein Satz objektiv, wann er subjektiv gemeint ist, einem Schillern, das Andersen stilistisch ausnützt, das aber seinen deutschen Übersetzungen vielfach abgehen muß. Von diesem Punkt abgesehen dürfen wir aber apriori in den deutschen Andersen-Texten ein hohes Niveau erwarten.

Weniger groß sind die Erwartungen, die man dem Übersetzerkorps des deutschen 19. Jahrhunderts entgegenbringt. Während die Zeit um 1800 Männer wie Johann Heinrich Voß und August Wilhelm Schlegel, sprachschöpferische, stilistisch einfühlende Übersetzer von einem bisher nicht erreichten Niveau aufzuweisen hatte, und dieses Lob auch noch Friedrich Rückert gebührt, gibt es in den 1840-er Jahren, als Andersen in Deutschland introduziert wird, wenig mehr als einerseits ein klassizistisches Interesse für Antiquitäten und gepflegte Dichtersprache alten Stils, anderseits eine politisch interessierte junge Generation, die sich kaum mit Märchen abgibt. Kaum ein bedeutender deutscher Dichter, der zu diesem Zeitpunkt seine zentrale Aufgabe darin sähe, die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache zu pflegen, und sich, um die deutsche Sprache zu bereichern, experimentell mit der Übersetzung stilistisch verfeinerter Texte beschäftigte! Wer schon Märchen las, statt politische Lyrik zu verfassen, bekannte sich zum großen Erbe der Goethezeit und mußte also Andersen in diesem Geiste aufnehmen. Wie Bechstein oder Wilhelm Grimm schreiben konnte aber bereits jeder, und so kam es, daß auch jeder Andersen übersetzen zu können meinte, und daß auf diese Weise weniger Andersens Stil als Andersens Stoff übersetzt wurde. Teuer mußte der Dichter seinen Aufstieg in die Weltliteratur bezahlen. Den Stoff vermittelte man, den Andersen selber aus fremder Quelle geschöpft hatte; übersehen mußte man den Stil, jenes schlafwandlerische Jonglieren mit Banalitäten und Modernitäten, das auch über das Biedermeierjahrhundert hinaus Andersen faszinierend macht.

Bekanntlich überlebte Andersen dennoch diese Wiedergabe durch die nivellierende Wortkunst der Übersetzer von geringerer geistiger Größe, wohl aber mit dem Ergebnis, daß ihn in erster Linie die stofffreudigen Zuhörer, also die Kinder, zu sich nahmen, während die vorlesenden Erwachsenen, denen es mehr auf das Wie als auf das Was ankommt, kaum entdeckten, daß es sich bei Andersens Märchen um Kunst handelt. Man könnte dem Dichter bessere Übersetzer gönnen oder bloß einen, der, selber in einem poetischen Reich lebend, dies auf Jahre hin mit dem des Märchendichters verschmelzen würde, um die Märchen neu entstehen zu lassen. Eine saubere philologische Wiedergabe genügt nämlich nicht, wie es zwei der unten zu besprechenden Übersetzungen zeigen, die in jüngster Zeit von Professoren gemacht wurden.

Daß man an eine Übersetzung unbegrenzte Forderungen stellen soll, zeigt das Beispiel der durch den Dänen Thorkild Bjørnvig übersetzten Duineser Elegien. Der inzwischen als Literaturwissenschaftler habilitierte Thorkild Bjørnvig gilt als der vielleicht bedeutendste lebende Lyriker Dänemarks. Er hat über Rilke wissenschaftlich gearbeitet und auf seine Übersetzung Jahre gewandt. Eine solche Übersetzung kann vielleicht gelingen, aber auch in ihr gibt es noch Probleme: Wo immer sich der Urtext auf zwei Weisen deuten läßt, muß sich der Übersetzer logisierend für die eine entscheiden; verloren gehen lautliche Wirkungen des Originals, die, mögen sie auch ohne die Absicht des Verfassers zustande gekommen sein, ihn wohl in seinen folgenden Versen mit inspiriert haben können. In beiden Fällen: Was verloren geht, ist ein Teil des spezifisch Künstlerischen, dessen, was einen Kunsttext von einem Kommunikationstext unterscheidet.

Gut genug kann eine Übersetzung nur sein, wenn es nichts Wertvolles gibt, das verloren gehen kann. Ist es erst einmal in einer wohlgemeinten, aber ungenügenden Übersetzung eingebüßt, wissen die Leser des Autors, die sein Original nicht kennen, nicht einmal, daß ihnen eine schlechtere Ware angeboten wird. Demzufolge fordern sie keine bessere Übersetzung, sondern bezweifeln vielmehr die Berechtigung einer Übersetzung schlechthin. Sie trauen dem Übersetzer statt dem ihnen weniger bekannten Autor. Hat Andersen erst einmal in Deutschland das image eines stofffreudigen, bieder-gutmütigen Kleinkinderspielonkels erreicht, bedauert kein Deutscher mehr die künstlerische Qualität seiner Übersetzungen. Hier Kritik zu üben muß ihm als weltfremde philologische Nörgelei erscheinen.

In Dänemark ist es um den Textschutz Andersenscher Märchen anders bestellt. Es ist zum Beispiel direkt verboten, die Märchentexte in gekürzter oder bearbeiteter Form zu edieren, und abgesehen von Schulbüchern bewahren die heutigen Drucke sogar die Orthographie des 19. Jahrhunderts. Das muß jeden Philologen freuen, wenn diese Haltung auch nicht sosehr philologischen Idealen entspringt, sondern davon herrührt, daß die Dänen bei Andersens Märchen wie die Kinder reagieren, die jedes Wort kennen, die Geschichte absolut wortgetreu wiederhören wollen und sogar neue Illustrationen ablehnen. Natürlich gibt es in Dänemark ein bieder-kindliches Andersenbild neben dem intellektuell-literarhistorischen.

In Deutschland hat aber bisher fast nur das bieder-kindliche geherrscht. Die communis opinio noch des Jahres 1952 drückt der Große Brockhaus folgendermaßen aus: Andersens Märchen

sind tröstlich für groß und klein, weil sie immer dem Guten zum Siege verhelfen und der Tapfere, Ausdauernde schließlich doch ans Ziel kommt.

Würde diese Charakteristik genügen oder auch nur stimmen, brauchte man keine editorische Akribie geschweige denn geniale Übersetzer. Es scheint aber, daß trotz der sprachlichen Barriere Andersen inzwischen auch in Deutschland aufgewertet oder jedenfalls auf modern umgedeutet wurde. Folgende Charakteristik der Märchen findet sich in der Ausgabe des Großen Brockhaus von 1966:

In einem bewußt und raffiniert naiven Stil schaffen sie eine Märchenwelt für Erwachsene, die das Polemisch-Didaktische mit seelischen Tiefenschichten und Sehnsüchten verbindet.

Daß es innerhalb einer so kurzen Zeitspanne derlei unterschiedliche Aussagen geben kann, dürfte es zumindest als berechtigt erscheinen lassen, im folgenden ein Andersen-Märchen und dessen deutsche Übersetzungen zu analysieren. Ich bin mir dabei durchaus bewußt, als ein Däne, der sogar in Odense geboren wurde, Andersen vielleicht höher einzuschätzen, als es ein Nicht-Däne tun würde. Anderseits hoffe ich aber auch, Ihnen zeigen zu können, daß ein Andersen-Märchen jedenfalls anderes und mehr ist als purer Kinderstoff.

Bei der Wahl eines Märchens für die Interpretation ging ich von folgenden Gesichtspunkten aus: Das Märchen sollte kurz sein, damit die Interpretation übersichtlich blieb. Es sollte in möglichst vielen der mir zugänglichen deutschen Ausgaben enthalten sein, um ein Vergleichsmaterial zu liefern. Endlich war ein frühes Märchen zu bevorzugen, da diese die stoffbedingtesten sind, in denen Andersen scheinbar lediglich eine Geschichte nacherzählt, die ihren Platz in Aarne-Thompson hat. Erst als somit das Thema meiner Untersuchung festlag, ging ich an die Interpretation in der vagen Hoffnung, daß ihr das Märchen standhalten werde. Mein Erlebnis ähnelte dabei dem, das man hat, wenn man sich plötzlich überlegt, was denn eigentlich in einem Kirchenlied steht, das man seit seiner frühsten Kindheit gedankenlos mitgesungen hat.

Nach der Interpretation wagte ich mich an eine Übersetzung. Dies war umso leichtsinniger, als ich ja eben an Hand bisheriger Übersetzungen im zweiten Teil meiner Darstellung nachweisen wollte, daß Übersetzungen ein fast hoffnungsloses Unternehmen sind. Vor einem deutschen Publikum ist es aber von zweifelhaftem Wert, einen dänischen Text stilistisch zu interpretieren. Ich bringe also zunächst eine deutsche Übersetzung, die nicht als die vollkommene gelten will, wohl aber diejenigen Stilzüge am dänischen Original zu bewahren trachtet, die ich bei meiner Analyse für besonders konstitutionell hielt. In der Übersetzung sind die einzelnen Abschnitte mit Ziffern versehen, um bei der Analyse die Orientierung zu erleichtern:

Die Prinzessin Auf Der Erbse

  1. Es war einmal ein Prinz; der wollte eine Prinzessin, aber wohlgemerkt eine richtige Prinzessin. Also reiste er durch die ganze Welt, um so eine zu finden, aber mit allen war etwas los. Prinzessinnen gab es genug, aber ob das richtige Prinzessinnen waren, konnte er nicht ganz herausbekommen, immer war etwas nicht so richtig. Also kam er dann wieder nach Hause und war so traurig, denn er wollte so gern eine wirkliche Prinzessin.
  2. Eines Abends gab es aber ein schreckliches Wetter; es blitzte und donnerte, der Regen goß herab, es war ganz entsetzlich! Da klopfte es an das Tor der Stadt, und der alte König ging aufmachen.
  3. Draußen stand eine Prinzessin. Aber Gott wie die aussah von dem Regen und dem schlimmen Wetter! Das Wasser lief an ihren Haaren und ihren Kleidern herab, und es lief zur Schuhspitze herein und beim Absatz heraus, und dabei sagte sie, sie sei eine wirkliche Prinzessin.
  4. „Ja, das werden wir schon entdecken!“ dachte die alte Königin, aber sie sagte nichts, ging in die Schlafkammer, nahm alles Bettzeug heraus und legte eine Erbse auf den Bettboden, darauf nahm sie zwanzig Matratzen, legte die auf die Erbse drauf, und dann noch zwanzig Eiderdaunenbetten auf die Matratzen drauf.
  5. Dort sollte nun die Prinzessin in der Nacht liegen.
  6. Am Morgen fragten sie sie, wie sie geschlafen habe.
  7. „O entsetzlich schlecht!“ sagte die Prinzessin, „ich habe die ganze Nacht fast kein Auge zugemacht! Gott weiß, was da im Bett gewesen ist? Ich habe auf etwas Hartem gelegen, so daß ich ganz braun und blau am ganzen Körper bin! Es ist ganz entsetzlich!“
  8. Da sahen sie, dies war eine richtige Prinzessin, da sie durch die zwanzig Matratzen und die zwanzig Eiderdaunenbetten die Erbse gespürt hatte. So empfindlich konnte keiner sein, außer einer wirklichen Prinzessin.
  9. Der Prinz nahm sie also zur Frau, denn nun wußte er, er hatte eine richtige Prinzessin, und die Erbse kam in die Kunstkammer, wo sie noch zu sehen ist, wenn niemand sie genommen hat.
  10. Sieh, das war eine richtige Geschichte!

In dieser Übersetzung sind Disposition, Syntax und Interpunktion möglichst treu wiedergegeben. Wichtig ist in der Disposition der Wechsel zwischen den Abschnitten von durchschnittlicher Länge und den drei Abschnitten 5, 6 und 10, die nur eine Zeile umfassen, der abschließende Abschnitt 10, um die epimythische Bemerkung herauszustellen, die Abschnitte 5 und 6, um an dem Höhepunkt und Wendepunkt der Geschichte verzögernde Pausen zu markieren. Für die genaue Wiedergabe der einzelnen Abschnitte spricht auch die Tatsache, daß drei Abschnitte, nämlich die Abschnitte 1, 3 und 8 denselben Schluß haben. Dieser Stilzug darf natürlich in einer Übersetzung nicht verloren gehen. Dies führt aber zu einigen Bemerkungen über die Syntax über. Im Dänischen steht im Gegensatz zum Deutschen am Ende eines Nebensatzes nicht immer ein Verb; dies muß auf deutsch soweit möglich wiedergegeben werden, da Andersen nicht ohne Absicht sehr viele Sätze mit dem Wort Prinzessin enden läßt. Wenn man in der Übersetzung diesen Punkt übersieht, erhält das Wort nicht die exponierte Stellung wie im dänischen Original. Ein anderer syntaktischer Zug ist im Deutschen die Entscheidung, die es im Dänischen nicht gibt, wann der Konjunktiv zu verwenden ist. In meiner Übersetzung steht am Ende des Abschnittes 3 sie sei eine wirkliche Prinzessin, am Anfang des Abschnittes 8 dagegen dies war eine richtige Prinzessin. Im Dänischen schillert die Frage, ob eine subjektive Behauptung oder eine objektive Feststellung vorliegt; im Deutschen muß man sich so oder so entscheiden. Weshalb ich mich so entschieden habe, wird aus der folgenden Interpretation hervorgehen. Vorher aber nur noch zur Interpunktion die Bemerkung, daß Andersens individuelle Abweichungen von der dänischen Normalinterpunktion natürlich im Deutschen erhalten bleiben müssen. Sie werden bemerken, daß Andersen wiederholt, so in den Abschnitten 1, 2, 3, 4 und 9, epische Zusammenhänge in losen mit Kommata von einander getrennten Hauptsätzen berichtet und dazwischen kurze Sätze der Personen und des Autors schiebt, die mit Ausrufszeichen versehen sind. Diesen Rhythmus darf man nicht vorderhand schulmeisterlich normalisieren. Wenden wir uns nun den Details der Geschichte zu:

Gleich im ersten Abschnitt fallen die beiden Schlüsselwörter Prinzessin und richtig auf. Das Wort Prinzessin steht fast immer in exponierter Stellung am Ende eines Satzes, das Wort richtig ist zweimal typographisch hervorgehoben, das drittemal tritt es wortspielhaft in kolloquialer Umformung auf: immer war etwas nicht so richtig. Kolloquial ist auch die stilistische Unterstreichung des Affektes, in dem sich der Prinz am Ende seiner erfolglosen Reise befindet, sie geschieht durch das dreifache rein emphatische so: nicht so richtig, so traurig, so gern. Dieses so Andersensche Adverb tritt hier nur an diesen Stellen auf. Der kolloquiale Ton begegnet schon an früherer Stelle: der Prinz reist aus, um so eine zu finden, aber mit allen ist etwas los. Am Schluß des Abschnittes steht als Steigerung des Ausdruckes eine richtige Prinzessin nunmehr eine wirkliche Prinzessin. Diesen Posaunenstoß finden wir wieder am Ende der Abschnitte 3 und 8.

Im zweiten Abschnitt treffen wir das erste Ausrufszeichen an. Es steht nach dem kolloquialen Ausdruck ganz entsetzlich. Der hier als solcher bezeichnete Zustand ist objektiv entsetzlich; dieses ganz entsetzlich kehrt aber wortwörtlich wieder am Schluß des Abschnittes 7; dort äußert sich die Prinzessin über ihren Zustand: Es ist ganz entsetzlich! Es klopft an das Tor, und, denn es ist in dieser mythisch vereinfachten Welt eine selbstverständliche Folge: der alte König macht auf.

Draußen steht eine Prinzessin. Es gehört zum rein mythischen Singular des Märchens, daß nur ein Schuh genannt wird. Das Wasser umströmt sie an allen Seiten. Als Endeffekt des Abschnittes wieder der Posaunenstoß: eine wirkliche Prinzessin.

Im vierten Abschnitt wird ihr Schmerzenslager bereitet. Die Königin geht in die Schlafkammer, die es nur im Singular gibt, und räumt – natürlich selber – die Betten ab. Die Gehilfinnen, die ihr auf den vielen Illustrationen zum Märchen Matratzen tragen helfen, gehören nicht dazu. Plural gibt es im Märchen nur von Prinzessinnen und von Matratzen.

Die Abschnitte 5 und 6 sind ganz kurz; es werden Pausen eingeschaltet, um über diesen spannenden Höhepunkt nicht zu schnell hinwegzukommen. Das Modalverb sollte im 5. Abschnitt drückt wieder die kolloquiale Selbstverständlichkeit aus. Die meisten deutschen Übersetzungen schreiben an dieser Stelle mußte, als wäre das Lager der Prinzessin objektiv eine schwere Prüfung. Aber hiervon ist eben gar nicht die Rede. Wer im 6. Abschnitt die sie sind – sie kehren am Anfang vom Abschnitt 8 wieder -wird nicht näher erklärt; man muß sich wohl vorstellen, daß die übrige kleine königliche Familie, die ohne Bediente auskommt, im selben Zimmer schläft.

Im 7. Abschnitt klagt die Prinzessin. Bis auf die unausgesprochenen Gedanken der Königin am Beginn des 4. Abschnittes sind dies die einzigen direkt gesprochenen Sätze. Und wie spricht denn eine Prinzessin? Wie eine kleine dumme Gans, in Ausrufen und Flüchen; zweimal sagt sie entsetzlich. Sie hat die ganze Nacht fast kein Auge zugemacht, nicht, wie man auf dänisch logisch sprechen müßte, und wie es fast alle deutschen Übersetzer entsprechend verschlimmbessernd wiedergeben: fast die ganze Nacht kein Auge zugetan. Die Sprache der Prinzessin ist ein Gewitter von Blitz und Donner und Ausrufszeichen. So heißt es denn am Ende: Es ist ganz entsetzlich! Wortwörtlich wird ihr gegenwärtiger Zustand dem schrecklichen Wetter am Vorabend gleichgesetzt; beide Male wird Gott zum Zeugen gerufen. Nun aber ist ihr Leiden eine höchst subtile subjektive Angelegenheit.

Im Abschnitt 2 war das Wetter objektiv entsetzlich, am Ende des Abschnittes 3 nannte sich die Fremde subjektiv eine wirkliche Prinzessin. Im Abschnitt 7 nennt das Mädchen seine Lage subjektiv entsetzlich, und so steht es denn am Ende des Abschnittes 8 objektiv als eine wirkliche Prinzessin da.

So empfindlich konnte keiner sein, heißt es am Ende des Abschnittes 8; es ist ein bewußter stilistischer Zug, daß dieser Satz eigentlich für sich stehen könnte, – es folgt aber ein Nachsatz: außer einer wirklichen Prinzessin.

Im Abschnitt 9 kommt alles auf seinen rechten Platz. Was in einen Satz ohne Punkt zusammenkommt, wird im Leben auf höchst verschiedene Stufen gestellt. Die Bemerkung über die Kunstkammer erfordert einen Kommentar. Die Kopenhagener Kunstkammer war, als Andersen das Märchen verfaßte, seit einigen Jahren geschlossen. Es handelt sich um das alte königliche Raritätenkabinett, für das sich niemand mehr interessierte. Es ist also völlig falsch, wenn auf Illustrationen zum Märchen gezeigt wird, wie eine neugierige Menge im Museum die kleine Erbse angafft. Was Andersen sagt, ist vielmehr: offiziell wurde die Erbse geehrt, aber eigentlich interessiert sich niemand für sie bzw. dafür, ob sie überhaupt noch da ist.

Endlich der Abschnitt 10: Der Imperativ unterscheidet im Dänischen nicht den Numerus; es beruht also auf einer Wahl, ob man hier durch den Plural Seht die Situation des von Kindern umgebenen Märchendichters unterstreichen will oder sich vielmehr für den alten normalen Singularausruf Sieh entscheidet, der aus der Tradition der Versepen bekannt ist. Das Schlüsselwort richtig taucht hier am Ende zum erstenmal mit neuer Applizierung auf: das war eine richtige Geschichte. Was soll das nun heißen? War dies eine wahre Geschichte, oder handelt es sich vielmehr um eine ausgesprochene Geschichte, etwas typisch Unreales? Ist das Adjektiv richtig für ethisch voll zu nehmen als Kommentar zu einer Geschichte, die einen ganz richtigen Ausgang hat? Unmittelbar hat man auch die Möglichkeit, die epimythische Bemerkung als gattungsbezogen aufzufassen: voila ein Märchen! Auf jeden Fall wissen wir aus der Geschichte, daß sich eine richtige Prinzessin mühelos zur wirklichen Prinzessin steigern läßt, aber im Bereich der Geschichte ist es keineswegs gegeben, daß das Richtige auch wirklich ist, – ganz im Gegenteil. Das führt uns noch einmal auf das subtile Spiel zwischen Subjektivität und Objektivität zu sprechen, das im ganzen Märchen herrscht. Im objektiven Gewitter objektiv in einer Notlage das Mädchen, das von sich subjektiv behauptet, eine Prinzessin zu sein; auf Grund höchst subjektiver Notklagen die objektive Feststellung: dies ist eine Prinzessin. Objektiv freilich für das kleine mythische Königreich, das an der ganzen übrigen Welt etwas auszusetzen hat und selber nur als Geschichte existiert, nach der Gattungskonvention in längst vergangener Zeit und an fernem Ort, stilistisch aber wiederum höchst gegenwärtig, so kleinbürgerlich, als könnte man dies Königreich wirklich durch sein eigenes Fenster erblicken, so kolloquial, als wäre man mit der königlichen Familie per Du. Nicht die Farben einer fernen Märchenwelt, sondern die braunen und blauen Flecken von einer gelben Erbse. Sieh, das ist eine richtige Geschichte!

Hiermit ist das Märchen nicht erschöpfend, wohl aber genügend analysiert, um an Hand dieser Analyse zu zeigen, woran es den deutschen Übersetzungen gebricht. Betrachten wir also einige dieser Übersetzungen. Ich beschränke mich auf eine Auswahl, nämlich auf die Übersetzungen, die mir in Aarhus zugänglich waren. Die umfassendste Sammlung von Übersetzungen besitzt das Andersen-Haus in Odense, wo derjenige arbeiten muß, der jede Abweichung der Lesarten registrieren möchte. Dies ist aber für unsere Zwecke nicht notwendig. Schon früh konstatiert man, daß dieses Märchen etwa 20 Fallen enthält, und daß eine gute Übersetzung etwa die 12, eine schlechte etwa die 8 glücklich umgeht. Einige Fehler kehren immer wieder, andere wurden beseitigt, können aber sehr wohl in jüngster Zeit wieder auftauchen. Obwohl man nämlich erwarten könnte, daß die einzelnen Übersetzungen auf einander aufbauen, zeigt es sich, daß sich immer wieder neue berufen fühlen, auf dem dänischen Urtext fußend eine persönliche Wiedergabe zu versuchen.

Von Anfang an scheint diese Tatsache ökonomisch bedingt zu sein. Viele konkurrierende Verlage legten schon um 1840 je eine Übersetzung auf den Tisch, wie es Kaysers Bücherlexikon zeigt. Unter den Übersetzern befindet sich auch F. M. Fouqué.

Der erste am Platze war ein Major von Jenssen, mir zugänglich in der 3., anonymen Auflage von 1846. Schon die Überschrift „Die Prinzessin auf Erbsen“ ist durch den Plural etwas irreführend. Die Abschnitte sind korrekt wiedergegeben, die Interpunktion aber ist schulmeisterlich normalisiert. Die Schlüsselwörter richtig und wirklich sind verschieden übersetzt. Überall ist von einer ächten Prinzessin die Rede, was nicht schlecht ist. Aber das Wortspiel mit richtig im ersten Abschnitt fällt unter den Tisch, und am Ende heißt es ohne jeden Rückbezug: Sieh, das war eine schöne Geschichte! Der Prinz reist nicht durch die Welt, um so eine zu finden – das tut er überhaupt erst in Übersetzungen der allerjüngsten Zeit — romantisch sucht er vielmehr eine solche. Der Regen strömt herunter, es war ganz schrecklich! Wo aber die Prinzessin den Satz wiederholt, heißt es Es ist entsetzlich! Wer bemerkt da den Bezug? Als es an das Stadttor klopft, geht, wie es heißt, der alte König selbst hinaus, und dabei ist als etwas Außerordentliches hingestellt, was eben im Märchen alltäglich sein soll.

Die Posaunensätze am Ende der Abschnitte, wo von der wirklichen Prinzessin die Rede sein sollte, verlieren vieles von ihrem Effekt dadurch, daß durch die normale Nebensatzwortstellung im Deutschen am Ende des Abschnittes ein gleichgültiges Hilfsverbum steht. Das gilt aber auch für spätere Übersetzungen.

Eine Prinzessin, so denkt der Übersetzer, hat zwei Schuhe, und so schreibt er denn auch. Fataler ist, daß er von den Schnäbeln der Schuhe spricht und somit das Alltägliche durch das Exotische ersetzt. Mißverstanden ist der Satz, daß im Abschnitt 5 die Prinzessin auf der Bettstelle die Nacht schlafen soll. Das soll sie ja eben lieber nicht. Diese genannten Fehler haben in deutschen Texten ein langes Leben gehabt. Major von Jenssen gliedert tapfer die langen Bandwurmsätze des epischen Berichts auf, nur die Prinzessin läßt er dafür in langen, schön gegliederten Sätzen sprechen, und zwar fast ohne Ausrufszeichen. Und die kolloquiale Bemerkung gegen Ende des Abschnittes 8: So empfindlich konnte keiner sein geht auch verloren. Die Aussage wird zusammengerafft und sogar als eine auch außerhalb des Königreiches geltende Weisheit hingestellt: So feinfühlend kann nur eine ächte Prinzessin sein! Mit einem selbsterfundenen Ausrufszeichen. Dabei ist feinfühlend eine viel zu freundliche Wiedergabe des spöttischen dänischen ømskindet. Daß die Prinzessin etwas kritisch betrachtet wird, ist dem Übersetzer gar nicht aufgegangen.

Es scheint eine zu leichte Aufgabe, eine so frühe Übersetzung zu kritisieren. Etwas besser ist Julius Reuschers, die, von 1841 an erscheinend, nicht zuletzt auf Grund der Illustrationen von Ludwig Richter und anderen eine große Verbreitung erreichte und noch 1927 von Martin Schiller neuherausgegeben wurde. Reuscher (-Schiller) gibt die Überschrift korrekt an: „Die Prinzessin auf der Erbse“; auch auf den Gebieten der Aufgliederung und der Interpunktion hält er sich recht nahe an das Original. Aufgegeben ist aber die Hervorhebung des Grundbegriffes richtig; überall ist einfach von einer wirklichen Prinzessin die Rede, und am Ende heißt es Sieh, das war eine wahre Geschichte. Die Sprache ist einerseits zur Schriftsprache hin normalisiert, wie wenn der Prinz herumreist, um eine solche zu finden, die Prinzessin fast die ganze Nacht nicht geschlafen hat, anderseits ins Märchenhafte hineinstilisiert, wie wenn das Wasser wieder in die Schnäbel der Schuhe hinein läuft. Die Übersetzung des Schlußsatzes aus dem Abschnitt 8 zeigt Sinn für Andersens Stil, bringt aber durch die Verwechslung von empfindlich mit empfindsam eine, wenn auch sehr reizvolle, dann immerhin nicht vom Verfasser beabsichtigte geistesgeschichtliche Perspektive in die Interpretation der Prinzessin: So empfindsam konnte niemand sein, außer einer wirklichen Prinzessin.

Die Tendenz, Andersens schlechten Stil zu verbessern, nimmt mit den Jahren zu. Man normalisiert die Interpunktion, man führt eine echte Märchensprache ein, man versüßlicht und verkindlicht. Abschreckend ist in dieser Hinsicht die 1900 in Stuttgart erschienene Übersetzung von Pauline Klaiber. Pauline Klaiber stolpert über den Titel, der ihr merkwürdig klingt. Das tut er aber auch im Dänischen. Sie nennt das Märchen „Die Erbsenprinzessin“ und unterstreicht somit, daß nicht der Individualstil eines Dichters, sondern der normalisierte Konsum ihr Ziel ist. Ihr Stil ist sehr gewählt: Er reiste in der ganzen Welt umher, um eine solche zu finden, doch nie wollte es ihm glücken. Jede Gouvernante kann zufrieden sein. Eines Abends entlud sich ein furchtbares Gewitter, … der Regen strömte hernieder, es war geradezu entsetzlich. Sie werden sich erinnern, daß dieser Satz mit einem späteren korrespondieren soll. Das zweitemal heißt es aber in dieser paulinischen Auslegung Es war wirklich gräßlich. Die Übersetzung des 5. Abschnittes lautet: In diesem Bett mußte die Prinzessin schlafen, richtig heißt durchgehend wirklich, und am Ende hört man die Stimme der wilhelminischen Tante Siehst du, das ist eine wahre Geschichte. Aber in dieser Wiedergabe mag auch kaum irgend ein Erwachsener künstlerische Werte im Märchen entdecken.

Wie sehr die Deutschen den Titel „Märchen und Erzählungen für Kinder“ ernst genommen haben und sich als Erwachsene selber von einem Kunsterlebnis ausschlossen, erhellt auch aus der „Frei nach der Reclamschen Ausgabe“ bearbeiteten Übersetzung von Paul Arndt, die mir in der 42. etwa in den 1920-er Jahren in Stuttgart erschienenen Auflage zugänglich war. Dort schließt das Märchen Sieh, Kind das ist eine wahre Geschichte! Abschnitte und Interpunktion sind so sehr als nur irgend möglich geändert. Der Stil ist affektiert: Der Prinz reist z.B. in der ganzen Welt umher, um eine solche zu finden; aber überall stand dem etwas entgegen. Wieder begegnen uns die spätmittelalterlichen Schnäbel der Schuhe, die das Märchen aus der selbstverständlichen, kleinbürgerlichen Gegenwart entrücken, um die es Andersen geht. Daß keiner so empfindlich sein kann, außer einer wirklichen Prinzessin, glaubt Paul Arndt nicht. Er läßt den Satz aus.

Auch in der Gegenwart wurde Andersen ins Deutsche übersetzt. Die DDR besitzt ihre eigene Übersetzung von Eva-Maria Blühm unter „Benutzung der älteren Ausgaben“, 1953 mit einer Einleitung von Leopold Magon in Leipzig erschienen.

Eva-Maria Blühm spricht noch immer von den Schnäbeln der Schuhe, schließt mit dem Satz Seht, das ist eine wahre Geschichte und übersieht den Konnex zwischen dem objektiven Gewitter und der subjektiven Klage. Das Druckbild ist unangenehm auf modern gemacht: die erste Zeile besteht aus lauter großen Buchstaben, der Rest der Geschichte ist so gedruckt, daß möglichst viel Platz gespart wird. Von diesem lay-out abgesehen hat Eva-Maria Blühm keine neuen Fehler in den Text gebracht; vielmehr scheint sie eine gewisse Ahnung von dem Spiel zwischen richtig und wirklich zu haben, ohne diesen Stilzug völlig auszuarbeiten.

Schlecht ist die offiziell vom Andersenhaus in Odense vertriebene und als Weltausgabe bezeichnete Übersetzung von Werner Wolf, zuerst 1958 erschienen. Den gemütlichen Stil will Wolf in erster Linie durch kolloquiale Einsilber wie gabs und obs erreichen. Als durchgehendes Schlüsselwort wird wirklich verwendet, auch im Schlußsatz: Ja, das ist eine wirkliche Geschichte! Die Interpunktion ist ad libitum. Andersens Logik wird verbessert, nicht nur in der Wendung Fast die ganze Nacht, sondern auch im Satz: Ich habe auf etwas so Hartem gelegen, daß … Es entspricht dieser Neuinterpretation der Prinzessin, durch die sie ganz gegen die Absicht des Verfassers zu einem räsonnablen Wesen gemacht wird, daß der Schlußsatz des achten Abschnittes ohne jeden maliziösen Nebenklang lautet: So zarthäutig konnte nur eine echte Prinzessin sein! Das Wort echt scheint übrigens hier nur deshalb angewendet zu sein, damit in die Monotonie des ungebildeten Märchendichters etwas gebildete Variation kommt.

Vom dänischen Staatsministerium veranstaltet ist eine kleine, 1955 erschienene Ausgabe, in der Günther Jungbluth das Märchen übersetzt hat. Disposition und Interpunktion hat der Philologe korrekt wiedergegeben; auch ist das Schlüsselwort richtig an den gehörigen Stellen kursiviert, was seit Major von Jenssen kaum gesehen war. Aber an einigen Stellen dichtet Jungbluth selber im Andersenstil weiter, so gleich im ersten Satz, in dem es heißt der wollte so gern eine Prinzessin zur Frau haben. Später heißt es der Regen schüttete nur so herab. Eine ganz gegen Andersens Stil verstoßende Entgleißung liegt vor, wo es vornehm heißt, daß die Prinzessin dort zur Nacht liegen sollte. Weniger entstellend ist schon der Fehler, daß die Prinzessin statt braun grün wird, viel weniger entstellend als der im Häßlichen Entlein, wo für Jungbluth aus einem Huhn ein Hund wird. Aber auch die aufmerksamsten philologisch geschulten Professoren wie Wolf und Jungbluth bleiben trotz ihrer Akribie hinter der schlafwandlerischen Sicherheit des naiven Andersen zurück, wenn auch Jungbluth das Lob gebührt, gut genug Dänisch zu können, um zu wissen, wann Andersen die dänische Syntax so anstrengt, daß es falsch wäre, sie in ein regelmäßiges Deutsch zu übersetzen.

Daß das Ringen um eine perfekte Übersetzung hoffnungslos ist, zeigt auch die Übersetzung, die uns zuletzt beschäftigen soll, die derzeit verbreitetste von Thyra Dohrenburg, die 1959 als Ausgabe sämtlicher Andersen-Märchen im Winkler-Verlag München erschien.

Der Ton ist oft gut getroffen: Der Prinz zieht (wie auch schon bei Jungbluth) aus, um so eine zu finden, die nicht sehr logisch denkende Prinzessin hat die ganze Nacht fast kein Auge zugetan (aber noch immer – getan), und entsprechend wird gefolgert: So empfindlich konnte niemand sein, außer einer wirklichen Prinzessin.

An anderen Stellen wird normalisiert und nivelliert: an allen Prinzessinnen war etwas auszusetzen, der Regen strömte hernieder. Falsch ist noch einmal, daß die Prinzessin auf dem Lager in der Nacht schlafen sollte: liegen soll sie, schlafen lieber nicht. Eine verniedlichend märchenhafte Sprache in derjenigen Bedeutung von „märchenhaft“, die bei deutschen Frauen herrscht, dringt ein, wenn an den Prinzessinnen allüberall etwas auszusetzen war, während die Königin ins Schlafgemach geht und die Erbse in die Kunstgemächer kommt. Vielleicht liegt aber hier auch eine nicht glückliche, weil verwirrende mundartliche Bindung der Übersetzerin vor.

Einige der Korrespondenzen, also der Parallelen zwischen identischen Ausdrücken, werden gewahrt, so das Spiel mit richtig und wirklich, wobei Thyra Dohrenburg mehrmals die Kunst gelingt, die wirkliche Prinzessin in die exponierte Stellung an das Satzende zu rücken; das doppelte ganz schrecklich findet sich auch. Nicht zum Ausdruck kommt das dreimalige so am Ende des ersten Abschnittes und das Plural-sie im Abschnitt 6, das ja mit einem sie im Abschnitt 8 korrespondiert. Bei Thyra Dohrenburg lautet der Satz Morgens wurde sie gefragt, wobei Morgens in der Bedeutung Am anderen Morgen wohl keine normale Hochsprache ist.

Unser kleiner Gang durch einige Übersetzungen muß mit einem resignativen Seufzer enden. Jede Übersetzung scheint dazu verdammt zu sein, an irgend einem Punkt dem Stil- und Dispositionswillen des Verfassers geradezu zu widersprechen. Die hier herangezogenen Übersetzer waren gewiß alle um fairness bemüht, einige freilich – und das gilt seltsamerweise auch für die Übersetzungen unserer Zeit – zugleich von dem Glauben besessen, manchmal besser selber zu wissen als Andersen, was echt Andersenscher Märchenstil heißt.

Die unumgängliche Voraussetzung einer halbwegs annehmbaren Übersetzung ist eine vielleicht intuitive, aber auf jeden Fall durchgreifende Interpretation. Jede Interpretation wird freilich ihrerseits von der jeweiligen literarhistorischen Mode gefärbt, und wir dürfen es vielleicht den früheren Generationen nicht vorwerfen, daß sie für stilistische Finessen keinen so großen Spürsinn entwickelt hatten und solche Feinheiten in einem Kindermärchen nicht erwarteten. Heute weiß auch der Deutsche, daß ein Kunstmärchen ein verfeinertes, quasi lyrisches Gebilde ist, in dem es nicht einmal in erster Linie auf den Stoff ankommt. Dennoch muß man vielleicht Däne sein, um ein Märchen wirklich ernst zu nehmen.

Das Märchen ist ein fester Teil der national dänischen Tradition. Um sein Leben zu steigern, flüchtet der Däne nicht in die Ideologie und Weltanschauung, sondern in das Märchenhafte. Große nationale Feiertage feiert man in Dänemark am liebsten im Königlichen Theater, und die beiden nationalen dänischen Festspiele behandeln Sagen- und Märchenstoff, das gilt für Heibergs Elverhøi und für Drachmanns Der var engang (: Es war einmal), das – wie übrigens ein Großteil der dänischen Literatur, Namen wie Jacobsen, Bang und Andersen-Nexø – auf den raffiniert-banalen Ton des Märchendichters zurückgreift und sich übrigens aus Elementen des Schweinehirten, des Tölpel-Hans und wohl auch der Prinzessin auf der Erbse zusammensetzt, wie wenn ein Hofmann fragt, ob das Mädchen wirklich wie eine Prinzessin aussehe, dann aber ein zweiter erkennen muß, dies sei die Erscheinung einer wirklichen Prinzessin.

Als Däne nimmt man Andersen apriori ernst, ein Deutscher muß erst überzeugt werden. Es war das Ziel meiner Interpretation, an einem frühen, kleinen, prunklosen Märchen zu zeigen, daß Andersensche Märchen, vielleicht ohne daß sich Andersen selbst die Details hat bewußt machen können, nicht einfach reiner Stoff, sondern stilistisch und dispositioneil verfeinerte Gebilde sind, – daß sie von einem undurchleucht-baren Spiel zwischen Stoff, Form und Sprachstil ihre geistige Kraft holen, so daß jedes neue Zeitalter zu ihnen einen neuen Zugang findet, ohne an den Kern dieser Gebilde heranzukommen. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, daß ein Plädoyer für eine perfekte Übersetzung, möge sie auch ein unerreichbares Ideal sein, nicht einfach Ausdruck jener pedantischen Haltung ist, die man einmal als das Komma im Frack bezeichnet hat.

Stimmen Sie mir nicht zu, so stünden wir wieder am Anfang. Ich müßte wie ein Ministerpräsident behaupten, daß der wahre Andersen nur Dänemark gehöre, und Sie mir entgegnen, daß keiner so empfindlich sein kann in bezug auf Feinheiten der Übersetzung, außer einer affektierten Prinzessin, die durch zwanzig Matratzen eine Erbse spürt.

Sieh, das wäre eine traurige Geschichte!

 

Anmerkungen

* Vorlesung gehalten an den Universitäten FU Berlin, Regensburg und München

Eine Wiedergabe des Originalmanuskripts Prindsessen paa Ærten findet sich in Vilhelm Andersen, Den danske Litteratur i det nittende Aarhundredes første Halvdel, 1924, zwischen den Seiten 542 und 543.

 

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