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Tysk Dramaturg ser på H.C. Andersen

Erwin Sylvanus

Meine Untersuchungen berücksichtigen nur die original von Andersen verfaßten dramatischen Arbeiten, nicht seine zahlreichen Bearbeitungen und Übersetzungen. Ich mußte mich an die im Andersen-Haus vorhandenen zeitgenössischen deutschen Übersetzungen halten – nach Andersens Tod sind keine Übersetzungen seiner dramatischen Werke in deutsch erschienen. Die Sprache der Übersetzungen genügt unserm heutigen Sprachempfinden nicht mehr. Hierzu kommt, daß die dramatischen Werke oft in Reimversen geschrieben sind und lange lyrische Passagen enthalten. Der Vergleich einiger Passagen aus deutschen Übersetzungen mit dem dänischen Original, die Herr Oxenvad ermöglichte, gibt Anlaß zu der Vermutung, daß Andersen zwar ein sehr viel höheres und vor allem echt dichterisches Sprachniveau hält, aber doch auch für unser heutiges Ohr penetrante Lyrismen und Übersteigerungen im Ausdruck nicht immer vermeidet. Das Gegenwartstheater hat berechtigte Scheu gegen Ge-fühligkeit im Ausdruck. Gefühle und Empfindungen müssen vielmehr Reaktionen der Zuschauer auf Grund des Spiels und der Interpretation der Schauspieler sein, also Ergebnis, das nicht durch den Text vorweggenommen werden darf.

Die Dichter der Romantik lieben allgemein eine zu große Gefühlichkeit im Wort, die bei ihrer Prosa und vor allem ihrer Lyrik vertretbar sein mag, nicht aber in ihrem dramatischen Schaffen. Da aber gerade ihr dramatisches Schaffen in der Gegenwart auf großes Interesse stößt, weil die heutigen Formen der offenen Dramaturgie dramaturgische Mittel einsetzen, die in der Romantik entdeckt oder doch neu entdeckt wurden, ist eine erste Voraussetzung, daß die Sprache der romantischen Dramatiker vernüchtert wird, wenn man ihre Stücke für das Theater der Gegenwart zurückgewinnen will. Ich halte es nicht für möglich, Stücke von Andersen in einem zeitgenössischen Repertoire zu bringen und die Zustimmung eines breiteren Publikums zu erreichen, ohne daß diese Voraussetzung erfüllt wird. Meine Untersuchungen zielten aber gerade darauf, die Möglichkeiten solcher Aufführungen zu untersuchen und nicht darauf, ob und wie man Andersen in authentischer Fassung einem Liebhaberkreis oder einem Kreis von Kennern des romantischen Theaters darbieten solle.

Schon die Thematik läßt bei Andersens dramatischen Werken immer aufhorchen, sie ist meiner Meinung nach nicht weniger zwingend als bei seinen Märchen. Ich fand sie zumeist von bestürzender Aktualität.

Zunächst mußte ich die von mir untersuchten Werke in zwei Gruppen teilen. Die erste Gruppe umfaßt mit „Der Mulatte“ und „Das maurische Mädchen“ zwei dramatische Texte, die insgesamt betrachtet als in klassischer Dramaturgie gearbeitet bezeichnet werden können, sie bieten also formal keinerlei Überraschungen. In offener Dramaturgie hingegen sind die übrigen dramatischen Arbeiten geschrieben, die von mir untersucht wurden: „Ahasverus“, „Die Glücksblume“, „Agnete und der Meermann“ , „Das Fliedermütterchen“ (Holundermütterchen).

„Der Mulatte“: zweifelsohne ein erregendes Thema, das der Rassenfrage. In das Besitztum eines Mulatten auf Martinique kommt mit ihrer Tochter die Gattin eines reichen Plantagenbesitzers, des Herrn von Rebelliere. Sie suchen Schutz vor einem Unwetter. Horatio, der Mulatte, hat dieses Besitztum von seinem verstorbenen Herrn vermacht erhalten. Die beiden Frauen finden Gefallen an Horatio und seiner edlen Denkweise und bleiben länger als beabsichtigt, ja, sie verlieben sich insgeheim in Horatio. In einer Nebenhandlung schützt Horatio beide vor der Vergewaltigung durch den Mulatten Paleme, der früher bei Rebelliere Sklave war, entlaufen ist und auf diese Weise Rache für eine Auspeitschung nehmen will. Der Plantagenbesitzer, der Frau und Tochter zurückholt, ist aber weder durch diese Rettung noch durch die Fürsprache seiner Frau und Tochter von seinem Haß und der Verachtung gegen die Farbigen abzubringen, dieser Haß konzentriert und steigert sich nun auf Horatio. Er läßt ihn gefangennehmen, weil das Besitztum nicht rechtens gehöre, auspeitschen und bestimmt ihn zum Verkauf als Sklaven. Da es der Frau des Plantagenbesitzers und seiner Tochter nicht möglich ist, Horatio freizukaufen, beschließt seine Tochter, Horatio zu heiraten und ihm auf diese Weise die Freiheit zu geben.

Leider sind Horatio und der Plantagenbesitzer als extrem gut und extrem unmenschlich gezeichnet, die Zwischenfiguren haben keinerlei Möglichkeit einer inneren differenzierten Auseinandersetzung, die Entscheidung wird praktisch vom Autor vorweggenommen. Darum auch der positive Schluß, der ja eigentlich eine Problematik nur verdrängt, aber keineswegs diagnostiziert.

Diagnose – und zwar von bewegender Art – gibt dagegen Andersen in seinem Stück „Das maurische Mädchen (Raphaella) des Phänomens Nationalismus, um das in der Brust der Hauptfigur Raphaella eine sehr differenzierte Auseinandersetzung entfacht wird, die keine positive Entscheidung findet, weil es sie nicht geben kann. Raphaella fühlt sich als Spanierin, welche die Mauren haßt. Plötzlich erfährt sie, daß sie selbst Maurin ist – und nun bricht der Konflikt in ihr auf, aus dem sie keine Lösung weiß. Sie stürzt sich in eine Felsspalte, die zwischen beiden Königsreichen liegt, um den Tod zu suchen.

Während sich die Tochter des Plantagenbesitzers in „Der Mulatte“ nur in einem privaten, bürgerlichen Konflikt befindet zwischen der Liebe zu Horatio und der Liebe und dem Gehorsam zum Vater, bricht in Raphaella ein existentieller Konflikt auf, für den sich keine impulsive private Lösung anbietet. Raphaella ist zwar eine Rasende, aber sie rast gegen sich selbst.

Diese dramatische Arbeit von Andersen sollte für die Bühne zurückgewonnen werden. Sie läßt sich zu einem wirkungsvollen Stück bearbeiten, wobei freilich auch entscheidende dramaturgische Eingriffe notwendig sind.

„Ahasverus“ : ein Szenenkalaidoskop von der Geburt Christi bis zur Entdeckung Amerikas. Hauptfigur ist Ahasverus, der hier als „des Zweifels Engel“ begriffen wird, der – ähnlich wie Lucifer „des Hoch-muths Engel“ – aus dem Himmel fällt. Ahasverus jedoch wird auf Erden als ein Mensch geboren, der durch die Zeiten geht. Sein ständiger Zweifel verurteilt ihn zur Einsamkeit. Immer stellt er sokratische Fragen des Zweifels, z.B., da seine Geschwister beim bethlehemitischen Kindermord gemordet und er selbst nur knapp gerettet wurde, wie solches Morden unschuldiger Kinder zu vereinbaren sei mit dem Erscheinen von Christus, der vorgebe, Gott der Liebe sei, aber eben durch sein Erscheinen dieses vielfältige Morden verursacht habe.

Das Stück erfordert eine besondere dramaturgische Bearbeitung, für die etwa Einrichtung einer Fernsehbearbeitung gute Vorarbeiten leisten könnte. Doch scheint mir eine Aufführung dieses Stückes in absehbarer Zeit nicht opportun. Obwohl das Stück vom Verfasser aus keine antisemitischen Tendenzen hat und eine sehr moderne Phänomenologie des Zweifels darstellt, kann es in einer breiteren Öffentlichkeit zu antisemitischen Mißverständnissen führen. Unsere Gegenwart steht noch zu sehr im Schatten der Hitlerschen Scheußlichkeiten, als daß diese Arbeit unvereingenommen und im Sinne Andersens interpretiert werden könnte.

„Die Glücksblume“ : nach Andersens eigenen Worten ist ihr Thema „daß nicht der unsterbliche Künstlername, nicht der Glanz der Krone das Glück ausmacht, sondern daß dieses nur gefunden wird, wo man, mit wenigem zufrieden, liebt und wieder geliebt wird“. Andersen demonstriert dieses Thema, indem er den Holzvoigt Henrik in einer Traumhandlung die Schicksale des dänischen Dichters Ewald und des dänischen Prinzen Buris erleben läßt. Das Stück hat also Ähnlichkeit mit Grillparzers „Das Leben – ein Traum“. Der Zaubergeist, der bei Andersen die beiden vergangenen Schicksale gegenwärtig erlebbar macht, ist der Kobold.

Im Gegensatz zum Maurischen Mädchen fehlt wiederum der bewegende innere Konflikt, die Traumschicksale stehen nicht kontrapunktisch zum Schicksal Henriks, sondern sind nur Illustrationen. Stilistisch ließe sich das Stück durch Umarbeitung für die moderne Bühne gewinnen, doch ist es in seiner Akzentsetzung zu harmlos, zu privat.

„Agnete und der Meermann“: das Stück behandelt in zwei Teilen das Schicksal von Agnete, die aus der Welt geht, den Meermann heiratet, in seinem unterirdischen Schloß mit ihm lebt, Kinder gebiert -bis sie zu den Menschen aus übergroßer Sehnsucht zurückgeht. Die Bitten ihres Mannes erreichen nicht, daß sie zurückkehrt zu ihren Kindern.

Ein Thema also, wie es etwa Hofmannsthal ähnlich im Bergwerk von Falun gestaltete. Eine Bearbeitung müßte meiner Ansicht nach das Stück des romantischen Kostüms entkleiden und die Frage der Identität durch alle Szenen virulent sein lassen, also Agnete als eine gespaltene Persönlichkeit handeln lassen, die immer zugleich in beiden Bereichen anwesend ist. Die Figur des zurückgelassenen Liebhabers gibt dazu Möglichkeit einer dauernden Präzenz.

„Das Fliedermütterchen“ (Holundermütterchen): ein Phantasiespiel in einem Akt, das sich fast als ein modernes absurdes Stück präsentieren läßt und wie ein solches kaum einen belangvollen erzählbaren Inhalt hat. Jedenfalls gibt der erzählbare Inhalt nicht den Reiz dieses choreographisch zu spielenden Stückes wieder. Die personifizierten Elemente bewerben sich mit dem Barbiergesellen Peter um die Gunst der Tochter des Barbiers. Von dem absurden Witz des Stückes mögen folgende Dialogstellen zeugen:

Der Maulwurf: Halten Sie sich an den da. Er ist Witwer (zeigt auf den Meermann und dessen Kind).
Der Meermann: Und Vater!
Der Irrwisch: Das ist eine höchst interessante Witwer-Physiognomie, und die Kleine, sie gleicht ihrem Vater. Ist sie auch Witwe? – Sie wird es werden! Das sehe ich ihr an. Sie hat den Anflug einer Witwe.
Eine solche Szene könnte bei Ionesco stehen. Ebenso die folgende.
Maulwurf zur tauben Haushälterin: Sie wissen es!
Die Haushälterin (taub): Lies! Man muß viel hören, eh einem die Ohren abfallen.
Der Maulwurf: Ich muß einen elektro-magnetischen Draht an ihr befestigen oder eine handgreifliche Sprache erfinden. Spannen Sie ihre Gehörnerven an!
Die Haushälterin: Ist hier etwas passiert? Eine geschehene Tat ist nicht zu ändern. Ich habe nichts gehört, aber mir sagt ein Gefühl, daß etwas geschehen wird. Ich besitze merkwürdig guten Gefühls-Sinn. Jeder hat’s in seiner Weise, sagte das Reibeisen.
Der Maulwurf: Ich rede. Ich teile Neues mit. Ich werde ein Weib freien.
Die Haushälterin: Leihen. Kann ich es nicht. Zwei kalte Steine geben auch Feuer, wenn sie zusamenstoßen.
Der Maulwurf: Da ist kein Gehör. Sei still!
Die Haushälterin: Gott behüte uns. Ich verstehe jedes Wort. Sie sprechen so deutlich. Ich soll still sein. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Der Maulwurf: Sie versteht kein Wort. Aber ich will dennoch reden, dann bleibe ich in der Übung als Redner, und es ist immer gut, wenn man ein tüchtiger Redner ist.

Die Inszenierung müßte antinaturalistisch sein. Wichtig ist, daß die Neubearbeitung konsequent ermöglicht, zu unterspielen, und einem trok-kenen irrealen, aber gleichwohl choreographischem Stil verpflichtet bleibt.

Die Bearbeitung gerade dieses Stückes würde sich sehr lohnen. Sie könnte dem Dramatiker Andersen begeisterte Zuschauer schaffen, vor allem auch in den Kreisen der jüngeren Theaterbesuchern. Es ist ein Stück echter Avantgarde.

Herrn Direktor Niels Oxenvad bin ich zu großem Dank verpflichtet für die außerordentliche Hilfebereitschaft und das große Interesse an meinen Untersuchungen. Er war mir bei der Beschaffung der Unterlagen in jeder Weise kenntnisreich behilflich und stellte mir im Andersen-Haus ein kleines Kontorzimmer zur Verfügung, in dem ich ungestört und nach Belieben arbeiten konnte. Es war ein echtes Andersen-Zimmer, voller Andersen-Bücher aus aller Welt und Erinnerungen an oder von Andersen. Durch das Fenster sah man auf das rote Dach des Andersen-Hauses und die roten Dächer der umliegenden Häuser. Von einem dieser Häuser grüßte eine alte Wetterfahne in das Zimmer, in dem ich mich über drei Wochen hin sehr wohl gefühlt habe.

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